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Winter auf Rügen

Sommer auf der Insel Rügen – da hat jeder ein Bild vor Augen: Auf der Promenade in Binz entlangbummeln, Sonnenbaden am Strand, Schwimmen im Meer und mit dem Rad die Insel erkunden. Doch Rügen kann auch Winter! Und wie: Vielfältige Angebote locken auch in der kalten Jahreszeit die Besucher nach draußen. Später kann man sich in der Sauna oder Therme wieder aufwärmen.

Klaus Boy macht es einem leicht, auf Rügen anzukommen. Der Gästeführer in Binz versteht es, seine Zuhörer mit auf eine Reise in die Vergangenheit zu nehmen, anschaulich und mit vielen Anekdoten zu berichten, wie Binz zu Zeiten der DDR war. Oder aber auch, wie 1826 die ersten Badegäste eintrafen, von den Einheimischen „Baders, Strandlöpers und Luftsnappers“ genannt.
Seit 1972 nimmt Boy Besucher mit auf seine Rundgänge: Dreimal die Woche im Sommer, einmal im Winter. Vorbei geht es an Villen in der typischen Bäderarchitektur: weiße Kastenbauten, die mit romantisierenden Elementen aufgewertet wurden. Doch der 65-Jährige bleibt nicht nur in der Vergangenheit: Geschichten schreibt das Ostseebad auch heute, und so erfährt der Besucher ein wenig Klatsch und Tratsch der Neuzeit.

Die Promenade in Binz lädt zum Spazieren gehen ein.

Binz mit seiner schönen Bäderarchitektur, aber auch der kilometerlange Strand – mit Glück mit Schnee überzogen – laden regelrecht zum Spazierengehen ein. Wer nicht direkt am Wasser entlang möchte, kann sich auf der Promenade fortbewegen, die im Gegensatz zum Sommer fast menschenleer ist. Rund 5700 Bewohner hat das Ostseebad, 2013 kamen 401 225 Gäste dazu. Aufwärmmöglichkeiten gibt es unzählige: Ein Sanddorn-Punsch am Strand am Lagerfeuer oder aber auch ein Abstecher zur Künstlermeile, in der Handwerker ihre Arbeit (unter anderem Töpferei, Malerei, Glasbrennerei) zeigen.

Schnee und Eis verleihen Rügens Küste ein ganz eigenes Flair.

Schnee und Eis verleihen der Landschaft auf Rügen im Winter eine ganz besondere Atmosphäre. Das Meer strahlt in einem besonderen Blau, die Kreidefelsen wirken in der Schnee-Landschaft ganz eigen. Erkunden lässt sich das auf einer der vielen geführten Wanderungen, auf eigene Faust oder aber auch ganz speziell auf einer Hanomag-Jeep-Safari. Die Tour mit dem Gruppenkraftwagen aus den Sechzigern startet am Haus des Gastes in Binz. Volker Barthmann hat 13 dieser Kult-Autos, zehn davon sind einsatzbereit. Mit maximal 60 Kilometern pro Stunde geht es auf die Halbinsel Jasmund.

Mit dem Hanomag-Jeep durch die Winterwelt Rügen.

Die berühmten Kreidefelsen sind das erste Ziel: Barthmann zeigt, wo Caspar David Friedrich gesessen haben muss, um sein berühmtes Bild zu malen. Nach einem kurzen Spaziergang durch den Buchenwald entlang des Hochuferweges oberhalb der Kreidefelsen packt Barthmann an der Ernst-Moritz-Arndt-Aussicht einen Sanddorn-Punsch aus und erzählt mehr zum Nationalpark-Konzept.
Nach einer Mittagspause mit warmer Erbsensuppe in einem ehemaligen Betriebs-Pionierlager – Barthmanns Heimstätte – geht es weiter in das Kreideabbaugebiet. An einer Stelle, an der niemand Besonderes vermutet, hält der Hanomag und nach einem kurzen Spaziergang durch tiefen Schnee findet man sich wieder an einem Kreidesee, der ein tolles Bild abgibt.

Weiter geht die Fahrt zum aktiven Kreidetagebau Promoisel. Von einem Hügel aus lässt sich anhand Bartmanns Erklärungen nicht nur gut nachvollziehen, wie die Arbeit dort aussieht. Es gibt einen tollen 180-Grad-Blick – bei gutem Wetter mit Blick von der Greifswalder Oie bis Hiddensee und zum Kap Arkona.
Auf der Hanomag-Tour gibt es eine erste Einführung in die Jungsteinzeit: Ein Großsteingrab und ein „Opferstein“ werden besichtigt, steinzeitliche Waffen und Werkzeuge gezeigt. Wer sich mehr dafür interessiert, sollte mit der promovierten Archäologin Katrin Staude einen Ausflug machen. Rügen zählt zu einer Region mit den meisten und besterhaltenen Bodendenkmälern. Anfang der Sechziger existierten insgesamt noch etwa 645 Stück. Auch gibt es auf Rügen die höchste Dichte an Großsteingräbern.

Katrin Staude erkundet diese gemeinsam mit ihren Gästen zu Fuß, per Rad, in der Pferdekutsche oder gar auf einem Tauchgang. Im Winter bietet sich ein Spaziergang im Forst Prora an – die Archäologin führt an Orte, an denen sich nur Tierspuren finden oder wo die Besucher ein Rudel Wildschweine aufscheuchen. Die acht Großsteingräber bei Binz wurden vor rund 5500 Jahren errichtet und sind teils bis zu 50 Meter lang. Staude erklärt die Bauweise, gibt einen Einblick in die Jenseitsvorstellungen und in aktuelle Forschungsergebnisse. Wenn sie dann noch Fotos und archäologische Fundstücke aus ihrem Rucksack packt, werden die Geschichten, die sie zu berichten weiß, gleich plastischer.

Spaziergang im Forst Prora mit der Archäologin Katrin Staude.

Das Naturerbe Zentrum Prora verdeutlicht in seiner Erlebnisausstellung sehr anschaulich und spielerisch die Besonderheiten der Insel Rügen. Gelegen zwischen dem kleinen Jasmunder Bodden und der Prorer Wiek umfasst die Fläche die drei Ökosysteme Wald, Offenland und Feuchtgebiete. Sie stehen auch im Mittelpunkt des im Juni 2013 eröffneten Zentrums. An 17 Stationen können die Besucher in der Ausstellung Natur erleben und hinterfragen. Durch einen Spion beispielsweise lässt sich erfahren, welche Auswirkungen der Einsatz von Panzern auf die Natur hatte. Mit kleinen Spielen erfährt der Besucher die Konzepte der Wildnis oder wie Rügen entstanden ist. Das ist unterhaltsam und begeistert nicht nur Kinder.
Diese können im Naturlabor die Besonderheiten Rügens noch intensiver entdecken. „Wir bieten von Bernsteinschleifen bis hin zu Insektenhotelbauen für Schulklassen ein ganz vielfältiges Angebot“, berichtet Jana Krachler. Die Seeheim-Jugenheimerin macht im Naturerbe Zentrum ein Freiwilliges Soziales Jahr. „Ich bin sehr naturverbunden und wollte nach dem Abitur etwas Sinnvolles machen. Mit meiner Familie habe ich häufig auf Rügen Urlaub gemacht und war fasziniert von der Küste“, berichtet die Neunzehnjährige. Nun wohnt sie ein Jahr lang im alten Forsthaus, das einem kleinen Schlösschen gleicht, und bringt sich in der Umweltbildung ein. „Meine Faszination weiter zu geben, das ist sehr schön“, erzählt die Südhessin von ihrer Arbeit.
Schnell angefreundet hat sich Jana Krachler mit dem Naturführer Walter Huber, der ursprünglich gar nicht so weit von ihrem Heimatort entfernt stammt: Der gebürtige Wormser führt Besucher auf einer rund eineinhalbstündigen Tour über den 1250 Meter langen Baumwipfelpfad und erklärt dabei an verschiedenen Stationen anschaulich, wie Rügen entstanden ist.

Aussichtsturm im Naturerbe Zentrum Prora

Highlight ist der 40 Meter hohe Aussichtsturm. Aus einer Höhe von 82 Metern über dem Meeresspiegel gibt es von hier einen einzigartigen Blick über die Insel. Mit etwas Glück sieht man die heimischen Seeadler. Deutschlands zweitlängster Baumwipfelpfad, der auch mit Kinderwagen und Rollstuhl befahrbar ist, bietet ab und an auch einen Abzweig mit erlebnispädagogischen Elementen. Der Pfad wird übrigens im Winter geräumt und ist daher auch bei Schnee begehbar.

Nach einem langen Tag draußen bietet sich das Aufwärmen in Therme und Sauna an. Viele Hotels haben einen eigenen Wellness-Bereich. Wer gleichzeitig ein Bad im wohltuenden Thermalwasser oder aber eine Heilkreide-Anwendung mitnehmen möchte, sollte einen Besuch in der Binz-Therme einplanen. Aus Tiefen bis zu 1 222 Metern sprudelt seit Anfang der Neunziger die Binzer Thermalsole-Quelle. Mit rund 15 Prozent Mineralisierung ist sie die reichhaltigste Seeküsten-Jod-Quelle Europas. Das zertifizierte Heilwasser ist über 220 Millionen Jahre alt und bedient vier bis zu 35 Grad Celsius warme Quellen in der Binzer Therme. Im Sole-Schwebebecken beispielsweise gibt es bei einer Sole-Konzentration von rund acht Prozent ein ähnliches Badegefühl wie im Toten Meer.
„Der therapeutische Nutzen von Heilkreide ist groß“, fasst Heike Reetz die Vorteile zusammen. Die Besitzerin des Reformhauses in Binz kennt sich gut mit den heimischen Naturprodukten aus. „Die basischen Mineralien entgiften die Haut und entschlacken, das Hautbild wird besser“, so Reetz. Aber es gebe auch positive Effekte auf den Bewegungsapparat.
Ein kleines Wundermittel ist die Sanddorn-Beere, die ebenfalls auf Rügen heimisch ist: Voll mit Vitamin C, Mineralstoffen und Spurenelementen unterstützt sie das Immunsystem und schützt vor vorzeitiger Hautalterung. Ob als Creme, Marmelade, Saft oder Likör – verarbeitet gibt es die Beere in vielen Varianten. Sehr gut schmeckt sie in Kombination beispielsweise mit Fisch in einem Sanddorn-Menü, das in der Brasserie des Hotels Loev serviert wird. Ein gelungener Abschluss nach einem Tag draußen.

Praktische Infos

Anreise:
Entspannt lässt sich die Strecke mit der Bahn bewältigen. Wer möchte, kann – solange es das Angebot noch gibt – über Nacht mit der City Night Line ab Mannheim oder Frankfurt bis Berlin fahren. Von dort geht es mit Regionalzügen weiter über Stralsund. Ab Berlin fahren Busse.

Unterkunft:
Rügen ist auf den Tourismus eingestellt, es gibt eine große Auswahl an Unterkünften. Binz beispielsweise verfügt über eine Kapazität von knapp 14 500 Betten in Pensionen, Hotels, Appartements und von privaten Anbietern. Das Strandhotel Binz (www.strandhotel-binz.de)
ist eine zentral gelegene Unterkunft. Das Vier-Sterne-Haus in Bäderarchitektur hat einen Wellnessbereich: Die finnische Sauna in der historischen Turmzwiebel ist etwas ganz Besonderes.

Essen:
Ob Sternekoch oder regionale Küche: Binz hat ein umfangreiches Gastronomie-Angebot. Empfehlenswert ist das Restaurant „Weltenbummler“ (www.weltenbummler-ruegen.de): Fleisch und Fisch in tollem Ambiente mit umfangreicher Getränkekarte. In der Brasserie des Loev-Hotels (www.loev.de) gibt es ein leckeres Sanddorn-Menü.

Informationen im Netz:
Binz: www.ostseebad-binz.de
Rundgänge mit Klaus Boy: http://reiseleiter-ruegen.de
Hanomag-Tour: www.hanomag-tours.de
Archäo-Tour Rügen mit Katrin Staude: www.archaeo-tour-ruegen.de
Naturerbe Zentrum Prora: www.nezr.de/de/index.php
Löwenherz-Bühne mit abwechslungsreichem Kultur-Angebot: www.loewenherz.club
Binz-Therme: www.binz-therme.de


Der Text ist am 28.02.2015 im SonntagsEcho des Darmstädter Echo erschienen.

Pfälzerin, Redakteurin, Fernweh-Geplagte. Pfadi, Abenteuer-freudig und gerne unterwegs. Als Chefredakteurin bei der VRM und ausgebildete Redakteurin sorgt Jule dafür, dass alle Reiseerlebnisse sich im Blog wiederfinden. Abseits vom Dokumentieren kümmert sich Jule um die Orga und Planung vorab, denn das Reisegefühl startet bereits bei den Vorbereitungen.

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