Bei den Ju/’Hoansi-San im Lebenden Museum in Grashoek/Namibia
Im Lebenden Museum im namibischen Grashoek zeigen die Ju/’Hoansi-San ihre ursprüngliche Kultur. Besucher machen Feuer ohne Streichhölzer und fertigen Perlen aus Eierschalen.
Es wird gesungen, getanzt und gelacht – und das mitten im Busch in Namibia, rund 200 Kilometer von der Grenze nach Botswana. Kurz hinter dem Veterinärszaun bei Grashoek, 130 Kilometer hinter Grootfontein, weist ein Schild auf das Lebende Museum der Ju/’Hoansi-San hin. Sechs Kilometer geht es über eine enge Sandpiste querfeldein, manch ein Tourist glaubte sich bereits auf falscher Fährte. Doch am Ende warten auf die Besucher die San, die interaktiv ihre alte, fast vergessene Kultur zeigen – so, wie sie vor der Kolonialisation war.
Kaum fährt ein Auto an, herrscht in dem modernen Dorf reges Treiben. Musik dröhnt aus einem Radio, zwischen den Blechhütten flitzen Frauen und Kinder umher, mit Rufen wird auf den Besuch aufmerksam gemacht. Nur kurze Zeit später begrüßt uns Thomas, noch in Jeans und verwaschenem T-Shirt. Nur wenige Minuten später erkennen wir ihn kaum wieder: Im traditionellen Dorf, wenige Meter weiter, geht man standesgemäß gekleidet. Thomas, alle anderen Männer und die Frauen tragen nur einen Lendenschurz. Die vielen Kinder haben gar nichts an.
Mit sich tragen sie einen Köcher mit Pfeilen, Beil und Messer. Viele Frauen schleppen kleine Kinder mit sich herum, meist mit Lederdecken auf den Rücken gebunden. Ältere Kinder springen zwischendrin herum, schauen neugierig zu, was die Erwachsenen so treiben – ob nun San oder Europäer.
Die Besucher können zwischen verschiedenen Programmangeboten wählen, die von einer Stunde bis zu zwei Tagen dauern. Ob beim Spaziergang durch den Busch, dem gemeinsamen Singen und Tanzen oder dem Handwerken – man legt Wert darauf, die alte Jäger- und Sammlerkultur genauso wie früher und so authentisch wie möglich darzustellen.
Der Vorwurf, bei solchen Angeboten würden Menschen wie Tiere im Zoo begafft, trifft in Grashoek nicht zu. Denn die Besucher werden jederzeit eingebunden. Sie versuchen sich darin, mit Hammer und Stößel Perlen aus Straußeneierschalen zu formen. Sie rollen Grasbüschel immer wieder über ihre Schienbeine, bis daraus Seile für den Fallenbau und Bogensehnen entstehen. Sie entzünden Feuer mit trockenem Gras und durch das schnelle Aneinanderreiben zweier Stöcke.
Besucher versuchen zumindest, es den Ju/’Hoansi gleichzutun, doch die haben natürlich weit mehr Übung. Mit einem Lächeln sind sie stets zur Seite, wenn mal wieder eine Straußeneiperle kurz vor der Vollendung zerbricht oder das Feuer nicht brennen will. Gerne machen sie es noch einmal vor.
Beim Spaziergang durch den Busch zeigt der Medizinmann den Besuchern Medizinmann Heilkräuter. Er erklärt, welche Beschwerden mit welchen Pflanzenteilen bekämpft werden können. Begleitet wird die Besuchergruppe um den Medizinmann von vielen Frauen, die Feuerholz sammeln und auf ihren Köpfen transportieren. Kinder hüpfen dazwischen. Thomas übersetzt die von Klicklauten geprägte Rede des Medizinmannes ins Englische. Doch manchmal ist das gar nicht nötig: Der Heilkundige stellt die Beschwerden pantomimisch so gut dar, dass die Sprache fast überflüssig wird.
Beim Gang durch den Busch fallen Pflanzen mit lecker aussehenden Beeren auf. Bei der Handbewegung des Pflückens und in den Mund Schiebens und dem dazugehörigen fragenden Blick, nickt die San-Frau mit dem Baby auf dem Rücken und macht es uns vor. Schnell schiebt man sich selbst eine Beere in den Mund und kann durchaus nachvollziehen, dass die San ursprünglich allein von der Natur leben konnten.
Heute verbietet ihnen die Regierung die Jagd, so dass eine wichtige Nahrungsquelle weggebrochen ist. Auch die Zeit unter südafrikanischer Administration hatte Folgen für die Sprachgruppe, die bis in die sechziger Jahre fast unberührt von der Außenwelt als Jäger und Sammler lebte. Im Zuge des Odendaal-Plans, der auf der südafrikanischen Apartheitspolitik basierte, wurde 1970 das „Buschmannland“ im heutigen Namibia geschaffen. Das ehemalige Deutsch-Südwestafrika stand nach dem ersten Weltkrieg unter südafrikanischen Protektorat. Viele der bis dahin noch traditionell lebenden San siedelten sich daraufhin in Tsumkwe, der „Hauptstadt des Buschmannlandes“, an. Dort gab es eine Schule und Verwaltungsstelle. Der Siedlungsplan hatte gravierende Folgen: Die Arbeitslosigkeit war hoch, Alkoholmissbrauch weit verbreitet. Statt der bis dahin recht ausgewogenen Kost mit vitaminreichen Buschpflanzen und Fleisch gab es nun meist Maisbrei.
Konnten sich die Ju/’Hoansi früher bei sozialen Problemen in den Busch zurückziehen, wird ihnen dies heute verwehrt. Ursprünglich lebten sie in kleinen Gruppen von rund 25 Personen in einem relativ wasserreichen Randgebiet des Kalahari-Beckens. Heute sind große Teile ihrer traditionellen Gebiete kommerzielles, für die San also nicht zu betretendes Farmland. In ihrem modernen Dorf bei Grashoek leben heute 500 Personen. Dies kann ebenfalls besichtigt werden.
Doch diese Probleme sind den San im Lebenden Museum in Grashoek nicht anzumerken. Gelächter gibt es bei den San vor allem dann, wenn sich die meist deutschen Gäste im Bogenschießen versuchen. Plumpst der Pfeil direkt vor einem auf den Boden, lachen die Männer um einen herum auf und zeigen ihre Schießkünste.
Nicht nur die Besucher lernen etwas über die lebendige San-Kultur. Das Museum ist zugleich ihre eigene Schule für Geschichte und Kultur, ohne sie liefen die Ju/’Hoansi Gefahr, ihre Tradition zu vergessen. Die Jüngeren lernen von den Alten Handwerke, die sie in den staatlichen Schulen nicht vermittelt bekommen. Stolz und Selbstbewusstsein entwickeln die San, wenn sie den rund 3500 Besuchern im Jahr ihre ursprüngliche Kultur zeigen und diese sich begeistert darüber äußern.
Das Museum ist eine gute Einnahmequelle für die in Armut lebenden Dorfbewohner. Angegliedert ist ein sehr schöner, aber auch sehr einfacher Campingplatz (ohne feste Duschen und Toiletten, ohne Strom- und Wasseranschluss). Schmuckverkauf und die Gebühren für die Programme ernähren die 500 Dorfbewohner und San in der Region, die ihre Werke im Craft Shop verkaufen. Rund 100 Ju/’Hoansi wirken abwechselnd im Museum mit.
Khau Morris//’oce, Finanzmanager des Museums, sagt dazu: „In einer Woche haben wir 4250 Namibische Dollar (zirka 500 Euro) eingenommen. Wir haben ein viel größeres Einkommen als früher, können Kleidung und Nahrung kaufen, und beschäftigen uns wieder mit der alten Tradition unseres Volkes.“
Aufgeteilt werden die Einnahmen zwischen den Akteuren – sie erhalten 90 Prozent der Einnahmen – und der Dorfgemeinschaft. Das Geld wird vor allem für Diesel für den Generator zur Stromerzeugung ausgegeben, aber auch für Essen und Brennholz für die Schule und die Instandhaltung des Campingplatzes. Eltern, die nicht für die Schulkleidung und -gebühren aufkommen können, werden mit diesem Geld unterstützt.
Das Lebende Museum der Ju/’Hoansi ist Namibias erstes Lebendes Museum. Der deutsch-namibische Tourguide Werner Pfeifer und der San-stämmige Lehrer Ghau N!aici aus Grashoek initiierten es vor fünf Jahren. Die San betreiben und verwalten das Museum eigenständig. Unterstützung erhalten sie von dem gemeinnützigen Verein „Living Culture Foundation Namibia“, der sich für nachhaltige Entwicklung im ländlichen Raum einsetzt. Ziel ist unter anderem der Aufbau eines Kulturnetzwerkes, das der Bevölkerung die Möglichkeit gibt, von der Tourismusindustrie zu profitieren. Auch der Wiedergewinn des kulturellen Wissens soll gefördert werden, ebenso der Dialog zwischen den Kulturen.
Der Text erschien zuerst am 8.8.2009 im SonntagsEcho der Echo Zeitungen.